Anno Schreier hat das theatralische Gespür eines Richard Strauss, die Musik des Mittdreißigers ist von einer enormen Suggestivkraft, einer verführerischen Sinnlichkeit und fantastischen Vielfalt. (Stefan Ender anlässlich der Uraufführung der Oper
Hamlet am Theater an der Wien im September 2016)
Der 1979 in Aachen geborene Anno Schreier hat sich vor allem als Opernkomponist einen Namen gemacht. Bereits in seiner 2006 in Mainz uraufgeführten Oper
Kein Ort. Nirgends nach Christa Wolf entwickelte er eine eigene musiktheatralische Sprache, in der er heterogene Versatzstücke und Quasi-Zitate in einer Vielzahl musikalischer Stilistiken miteinander verbindet und gegeneinanderstellt, oft in ironischer oder grotesker Verfremdung. Diesen Ansatz hat Schreier sowohl in ernsten als auch in komödiantischen Werken sowie im Musiktheater für junges Publikum weiterentwickelt, so etwa in der Kammeroper
Mörder Kaspar Brand (2011, Deutsche Oper am Rhein, Düsseldorf), der musikalischen Polarkomödie
Prinzessin im Eis (2013, Theater Aachen), oder in
Schade, dass sie eine Hure war (2019, Deutsche Oper am Rhein, Düsseldorf). Hier entsteht ein zunehmend komplexes, aber immer sinnlich erfahrbares und theaterwirksames Konglomerat unterschiedlichster Musikformen, ein ständiges Nebeneinander von Komik und Tragik, von Ernst und Unterhaltung. Dem gegenüber stehen andere Werke wie
Die Stadt der Blinden (2011, Opernhaus Zürich) oder
Hamlet (2016, Theater an der Wien), die eine homogenere musikalische Sprache mit nur gelegentlichen zitathaften "Einsprengseln" entwickeln.
Auch Schreiers rein instrumentale Werke sind oft von Literatur und anderen außermusikalischen Ideen beeinflusst. So wurde etwa sein 2015 von Julian Steckel und der Badischen Staatskapelle uraufgeführtes Cellokonzert
On A Long Strand von einem Gedicht des irischen Lyrikers Seamus Heaney inspiriert. Der Dialog des Solisten mit dem Orchester evoziert eine Wanderung durch nordeuropäische Küstenlandschaften und lässt Elemente traditioneller irischer Musik mit einfließen.
In seinem Liedschaffen hat Schreier sich mit Texten von Eichendorff, Heine und Morgenstern auseinandergesetzt, aber auch mit älterer und zeitgenössischer Lyrik. In seinem zehnteiligen Zyklus
Fuoco e lagrime für Sopran und Klavier (auch in einer Version für Sopran und Ensemble) kombiniert er Gedichte und Fragmente von Michelangelo mit neuen Texten von Marcel Beyer und lässt so einen Dialog zwischen dem Italienischen und dem Deutschen, zwischen der Renaissance und heute entstehen.
Seit etwa 2017 verbindet Anno Schreier eine auf wenige Elemente reduzierte musikalische Faktur mit Einflüssen aus der Minimal Music und der Popmusik, etwa in
Atlantis (2018) für Ensemble,
Kältefuchs (2019) nach einem Gedicht von Marcel Beyer sowie in
Zwei Studien zu einer Landschaft (2019) für Violoncello und Klavier.
Schreier erhielt früh Unterricht in Klavier, Violine, Orgel und Musiktheorie. Von 1999 bis 2005 studierte er Komposition bei Manfred Trojahn an der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf, ergänzt durch einen Studienaufenthalt am Royal College of Music in London. Von 2005 bis 2007 war er Meisterschüler von Hans-Jürgen von Bose an der Hochschule für Musik und Theater in München. Seit 2008 unterrichtet er Musiktheorie an der Hochschule für Musik Karlsruhe.
Namhafte Orchestern und Ensembles wie das Orchestre National de Belgique, die Brussels Philharmonic, das Sinfonieorchester Aachen, das RSO Wien, das Ensemble Modern sowie das Armida Quartett haben mit Schreier bisher zusammen gearbeitet. In der Saison 2009/10 war er "Komponist für Heidelberg".
Schreier erhielt zahlreiche Preise und Stipendien, wie beispielsweise von der Studienstiftung des deutschen Volkes, der Deutschen Bank Stiftung, der Landeshauptstadt München, der Akademie der Künste in Berlin, der Wilfried-Steinbrenner-Stiftung und der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste. Im Jahr 2010 war Schreier Stipendiat der Deutschen Akademie Rom in der Villa Massimo, 2012 erhielt er den Förderpreis für junge Künstlerinnen und Künstler des Landes Nordrhein-Westfalen. Im Jahr 2016 wurde er in die "Junge Akademie" der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz aufgenommen und im März 2017 mit dem Deutschen Musikautorenpreis in der Kategorie "Musiktheater" ausgezeichnet.
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