Ich habe in Theresienstadt ziemlich viel neue Musik geschrieben, zu betonen ist, … dass wir keineswegs bloß klagend an Babylons Flüssen saßen und dass unser Kulturwille unserem Lebenswillen adäquat war. (Viktor Ullmann)
Viktor Ullmann wurde am 1. Januar 1898 in Teschen (Cieszyn) geboren. 1909 zog er mit seiner Mutter nach Wien, wo er 1914 ersten musiktheoretischen Unterricht bei Josef Polnauer erhielt. Ab 1916 leistete er seinen Militärdienst. Nach Kriegsende immatrikulierte er sich zunächst als Jurastudent an der Wiener Universität, besuchte jedoch ab Oktober 1918 Arnold Schönbergs Seminare für Komposition in Mödling und nahm zusätzlichen Klavierunterricht bei Eduard Steuermann. Auf Schönbergs Vorschlag hin wurde er am 6. Dezember 1918 in den Gründungsvorstand des "Vereins für musikalische Privataufführungen" aufgenommen, ließ sich jedoch ein Jahr später in Prag nieder. 1920 übernahm er Anton Weberns Stelle als Chordirektor und Korrepetitor am Neuen Deutschen Theater, zwei Jahre später beförderte ihn Alexander von Zemlinsky zum Kapellmeister. 1927 ging Ullmann für eine Spielzeit als Opernchef nach Aussig, 1929 bis 1931 übernahm er am Schauspielhaus Zürich ein Engagement als Kapellmeister und Komponist für Bühnenmusik. Unter dem Eindruck der Anthroposophie Rudolf Steiners leitete Ullmann für zwei Jahre (1931/32) eine anthroposophische Buchhandlung in Stuttgart, ehe er als freischaffender Musiker, Pädagoge, Komponist und Journalist nach Prag zurückkehrte. Zwischen 1935 und 1937 besuchte er Alois Hábas Kurse für Vierteltonkomposition. Nach der Errichtung des "Reichsprotektorats Böhmen und Mähren" 1939 waren öffentliche Aufführungen der Werke von Komponisten jüdischer Abstammung unmöglich. Am 8. September 1942 wurde Ullmann im KZ Theresienstadt inhaftiert, wo er mit Hans Krása, Gideon Klein und Rafael Schächter die musikalische Leitung der so genannten "Freizeitgestaltung" übernahm. Am 16. Oktober 1944 wurde Ullmann nach Auschwitz deportiert und wenige Tage später ermordet.
Die Wiederentdeckung der Werke Ullmanns ist unmittelbar mit der Erfolgsgeschichte seiner Oper Kaiser von Atlantis verbunden. Ullmann komponierte das einaktige Stück 1943/44 unter dem Eindruck des Terrors in Theresienstadt. Das Libretto schrieb sein Mithäftling Peter Kien: Angesichts von Krieg und Massenmord verweigert der Tod seinen Dienst. Plötzlich ist der Diktator seiner schärfsten Waffe, der Drohung mit dem Tod, beraubt, und verliert so jegliche Macht. Erst am Ende gewinnt der Tod seine eigentliche Bestimmung zurück – er wird zum Tröster der Menschen. Anders als im Falle von Ullmanns Melodram Die Weise von Liebe und Tod des Cornet Christoph Rilke für Sprecher und Klavier oder Orchester nach Rilke (1944) erlebte der Kaiser von Atlantis keine Aufführung in Theresienstadt. Die posthume Premiere erfolgte 1975 in Amsterdam.
Große Erfolge zu Lebzeiten feierte Ullmann mit seinen Schönberg-Variationen: Die Variationen und Doppelfuge über ein Thema von Arnold Schönberg sind in zwei Klavierfassungen (1929 und 1933/34) und jeweils einer Bearbeitung für Streichquartett (1939) und Orchester (1934) überliefert. Sie zeigen innerhalb des Gesamtwerks die größte Nähe zur Zweiten Wiener Schule. Ein Großteil der Werke Ullmanns aus den 1920er und 1930er Jahren muss als verschollen gelten, vollständig erhalten blieben dagegen neben dem Konzert für Klavier und Orchester (1939) die sieben Klaviersonaten, deren 5. und 7. auch als rekonstruierte Sinfonie vorliegen. Die ganze Spannbreite seiner kompositorischen Entwicklung lässt sich an den Liedern für Singstimme und Klavier ablesen: Von Wendla im Garten nach Wedekinds „Frühlings Erwachen“ (1918/1943) über das Liederbuch des Hafis nach Bethge (1940) bis hin zu den in Theresienstadt komponierten Hölderlin-Liedern zeigen sich darin neben Einflüssen der Spätromantik auch Anklänge an die Tonsprache Zemlinskys sowie die Neue Sachlichkeit eines Kurt Weill.
Für sein kompositorisches Schaffen wurde Ullmann zweimal mit dem Hertzka-Preis ausgezeichnet: 1934 für die Orchesterfassung der Schönberg-Variationen und 1936 für die ein Jahr zuvor nach einem Libretto Albert Steffens komponierte Oper Der Sturz des Antichrist.