Chiasma, das Zeichen in der Form des griechischen Buchstaben X (= Chi) bezeichnet einerseits „die räumliche Anordnung von anatomischen Strukturen, die eine Überkreuzungsform ergibt“, z. B. „Chiasma Opticum“, die Sehnervkreuzung, aber auch in der Genetik eine „in der späten Prophase 1 der Meiose als Folge eines Crossing over auftretende Überkreuzung zweier Nicht-Schwesterchromatiden von gepaarten Chromosomen“.
Gerade diese Überkreuzung und die daraus resultierende Paarung von verschiedenen Bestandteilen erinnerte mich an meine über viele Jahre gewachsene Methode, in der Musik heterogene Elemente gegenüberzustellen, sie in Beziehung zu setzen, sie dadurch jeweils zu verändern und in manchen Fällen auch zu einer Gestalt zusammenzuführen.
Dieses Stück, das sich aus einigen sehr einfachen Motiven entwickelt, sich durch deren Gegenüberstellung, „Konfrontation“ sehr schnell in ganz andere, disparate Richtungen entwickelt, zu einem eindeutigen, dramatischen „Doppelgipfelhöhepunkt“ gelangt, nur um danach in sich zusammenzufallen, arbeitet also genau mit diesen Urelementen des Komponierens (und vor allem der Symphonie): Konfrontation, Entwicklung und Synthese.
Vielleicht ist es auch wirklich eine komprimierte Mikrosymphonie geworden: Denn die spezielle Herausforderung, die ich mir beim Komponieren dieses Stückes gestellt habe, bestand darin, innerhalb einer (vom Auftraggeber) vorgegebenen Zeitspanne von 10 Minuten ein Stück zu entwickeln, in dem die ganze Welt enthalten ist, zumindest EINE ganze Welt in ihrer Disparatheit, mit ihren mörderischen Amplituden, mit ihrer Zartheit und Schönheit, ihrer Grausamkeit und Sinnlosigkeit. Thomas Larcher - Januar 2018