Klaviersonaten 1 - 4

Seit September 2013 ist diese Einspielung endgültig legendär: Im Alter von 100 Jahren verstarb in Jerusalem die Jahrhundertpianistin Edith Kraus, deren Biographie zu den für das 20. Jahrhundert typischen Lebensläufen jüdischer Künstler gehörte, mit dem besonderen Merkmal, dass Edith Kraus als eine der Wenigen das Lager Theresienstadt überlebte, wohingegen die allermeisten anderen der zahlreichen Komponisten, Interpreten, Schriftsteller und bildenden Künstler, die dorthin deportiert worden waren, das Lager nicht lebend verließen oder aber in Auschwitz im Gas ermordet wurden. Edith Kraus, pianistisches Wunderkind, jüngste Schülerin Arthur Schnabels in Berlin und auf dem Weg zu einer Weltkarriere, wurde ebenso nach Theresienstadt verschleppt wie etwa auch Viktor Ullmann, einer der führenden tschechischen Komponisten der Zwischenkriegsjahre, ein Schüler u.a. Schönbergs, bewundernder Freund Alban Bergs, bekennender Anthroposoph und einer der großen Geistesmenschen seiner Epoche. eda records traf mit Edith Kraus Anfang der 1990er Jahre in Prag anlässlich eines Gedenkkonzerts zusammen; die Frage der Produzenten, ob sie mit einem jungen deutschen Label eine CD mit Sonaten von Viktor Ullmann aufnehmen würde, beantwortete die 80-jährige Pianistin mit einem begeisterten „ja“. Doch wählte sie nicht die drei späten Sonaten, von denen sie eine sogar in Theresienstadt uraufgeführt hatte, sondern die ersten vier, die sie noch nie studiert hatte. Das Ergebnis ist eine Einspielung der Musik Ullmanns aus dem Rückblick einer großen Pianistin auf ihr Interpretenleben; eine Reverenz auch an Ullmann als einen Klassiker der Form, der sich selbst ab und zu bei seinen klassischen und romantischen Vorgängern bediente und ihnen durch die Verwendung von Themen und Motiven huldigte. Aus Edith Kraus’ Spiel klingt ihre lebenslange Liebe für Mozart und Schubert sowie für die deutsche Pianistenschule hervor, mit der sie manche Rauheit Ullmannscher Klavierfaktur in altersweises, durchsichtig-klares Licht zu tauchen vermag. Diese Aufnahme sollte die einzige bleiben, die Edith Kraus jemals einspielte; sie blieb ihr künstlerisches Vermächtnis. Sie wurde international vielfach preisgekrönt.